LAUDATIO

Laudatio zur Verleihung des Preises der Ortung VIII an Eleni Papaioannou
Stadtmuseum Schwabach
10. August 2013
von Barbara Leicht M.A., Kuratorin des Kunstmuseums Erlangen


Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Künstlerinnen, liebe Künstler,
die Ortung VIII besticht durch ein hohes Niveau in einem breit gefächerten Feld künstlerischer Möglichkeiten und es fiel der Jury beileibe nicht leicht eine Entscheidung zu treffen. Wir benötigten einige Stunden um zu einem wohl überlegten, definitiven Ergebnis nach einer intensiven Diskussion zu gelangen. Alle für diese Ortung entwickelten Arbeiten zeigen nämlich authentische, sehr gute künstlerische Positionen, was eine Entscheidung nicht unbedingt leichter gemacht hat. Ich freue mich sehr, Ihnen die diesjährige Preisträgerin vorstellen zu können.

Eleni Papaioannou wird mit dem Preis der Ortung VIII für ihre Installation „athletics – Masse ist variabel“ in der Turnhalle des Alten Deutschen Gymnasiums ausgezeichnet. Ich gratuliere Ihnen im Namen der Jury herzlich zu diesem Preis und freue mich sehr nun für sie sprechen zu dürfen und dem Publikum ihr Werk näherzubringen.

Denn das Werk „Athletics“ ist sicher für etliche Betrachter erklärungsbedürftig, obschon es
sich offen und zugänglich zeigt.
Eleni Papaioannou wurde 1972 in Athen geboren. Sie studierte zunächst Innenarchitektur am Vakalo Kunst und Design College in Athen, später dann an der Athens School of Arts Bildhauerei mit Bachelor-Abschluss. Seit 2001 lebt sie in Berlin und vervollständigte ihre Studien 2004 an der Universität der Künste in Berlin mit dem Master-Degree im Fach „Art in Context“. Der Studiengang „Art in Context“ wendet sich an Künstlerinnen und Künstler, die ihre bildnerischen Aussagen im gesellschaftlichen Zusammenhang positionieren möchten. Hierzu zählt natürlich Kunst im öffentlichen Raum, Kunst im Kontext mit gesellschaftlichen Gruppen oder Institutionen und Kunst im medialen Bildraum. Dieses Studium setzt insbesondere Interesse an gesellschaftlichen Zusammenhängen voraus sowie ein großes Maß an Kommunikationsfähigkeit und –willen.

Die Künstlerin Eleni Papaioannou zeigte etliche Konzepte im öffentlichen Raum in
Deutschland, Spanien und Griechenland. In ihrem Werk setzt sich Papaioannou mit der Interaktion von Kunst mit dem urbanen öffentlichen Raum und mit Architektur auseinander. Dass sie zur Ortung VIII eine Installation zeigt, geht kongruent mit ihrem bisherigen Werk einher. Sie verwendet unterschiedlichste organische und synthetische Materialien, Film und Klang und geht dabei auf die Wahrnehmungsfähigkeit des Betrachters von Zeit, Raum und subtiler Veränderungen ein.

Der Hinweis auf ihre vielschichtige und profunde Ausbildung mag schon erste Fragen klären, wenn man die Turnhalle des Alten Deutschen Gymnasiums, der neunten Station der Ortung betritt, deren nostalgische Atmosphäre einige aus eigener Erfahrung kennen mögen. Körperliche Ertüchtigung ist etwas, was wohl oder übel alle in der Schulturnhalle als Heranwachsende mitmachen mussten. Wer kann sich nicht an so manche geliebte und ungeliebte Sportlehrer und –stunden erinnern. Nichts Schlimmeres allerdings als im Sport nicht einigermaßen mithalten zu können und ein „Looser“ zu sein. Denn selbst auf dem Niveau des Schulsports geht es um Leistung.

Eleni Papaioannou zeigt in ihrer Installation ein offenes Konzept einer breit interpretierbaren Kunst mit vielen Hinweisen auf die Themen Sport, Leistung, Ruhm, Stolz, Identität und deren Schattenseiten. Die Grundlagen der Anordnung ihres Konzeptes „athletics“ sind Objets trouvés, also in der Halle vorhandene Gegenstände wie Stufenbarren, Matten, Ringe und Bänke. Dazu reiht die Künstlerin selbst erdachte Fahnen, die keine Nation direkt definieren, sondern die Multi- und Internationalität des Sportes kennzeichnen sollen. Weitere Fahnen hängt sie in einiger Entfernung an die Stadtmauer in der Nähe der alten Wöhrturnhalle, um damit diesmal im öffentlichen Bereich einen weiteren historischen Raum zu markieren, der im Kontext mit sportlichen Ereignissen stand.

Die Künstlerin ist Griechin und damit im Mutterland des berühmtesten und traditionsreichsten Sportereignisses der Welt, der Olympischen Spiele geboren und aufgewachsen. Diese wurden erstmalig 776 v. Chr. in Olympia ausgetragen, einem bedeutungsvollen Welterbe-Ort von eindrucksvoller Atmosphäre.

Meine sehr geehrten Damen und Herren: Ortung, im Zeichen des Goldes. Noch immer habe ich kein Wort über ein goldenes Accessoire, also weder über einen Lorbeerkranz, geschweige denn über eine Goldmedaille verloren. Uns so ist es auch. Kein Gold ist sichtbar. Der Zusammenhang zum Gold ist in „athletics“ nur
als intellektuelle Folie zu verstehen, die dem Konzept der Künstlerin eine inhaltliche Metaebene verleiht mit der sie auf unseren Erfahrungsschatz zugreift. Für manchen mag dies verwunderlich sein, denn die Künstlerin kommt aus einem Kulturkreis, in dem Gold auch heute noch eine große Bedeutung im sakralen Bereich besitzt. Wer schon einmal vor einer Ikonostase in einer orthodoxen Kirche gestanden hat, weiß, was ich meine.
Über weitergehende kulturhistorische Bedeutungen von Gold brauche ich speziell in dieser Stadt eher keine Worte zu verlieren. Das wissen Sie alle hier in diesem Raum viel besser als ich. Im Sport allerdings ist das olympische Gold der Lohn für jahre-, wenn nicht sogar jahrzehntelanges hartes Training. Eine Goldmedaille bedeutet Ruhm und Ehre für sein Landes errungen zu haben. Für die eigene Nation eine extraordinäre Leistung erbracht und im sportlich fairen Wettkampf viele andere auf die hinteren Plätze verwiesen zu haben,
schärft die Identität des Siegers und aller Fans gleicher Nationalität.

Besser sein als alle anderen. Der Beste sein, die Beste sein.
Gold ist der Preis für Verletzungen und kaputte Gelenke. Gold macht neidisch. Das Material zeigt (nicht nur) im sportlichen Umfeld einige Schattenseiten. Gold ist Geld und Geld ist Macht. Um an das olympische Gold zu gelangen lassen sich die Menschen raffinierte Methoden einfallen, die die Leistung möglichst unerkannt steigern und gemeinhin als Doping bekannt sind. Die aktuelle Diskussion kennen Sie alle und es entsetzt und erstaunt, wer, wann und wo verbotenerweise Mittelchen zu sich genommen hat, um noch mehr aus dem Körper herauszuholen. Und schließlich und endlich kann man Gold wie Geld nicht essen.

Nein, die Installation „athletics“ ist wahrhaftig keine kuschelige Wohnzimmerkunst. Auf drei kleinen, am Stufenbarren fixierten Monitoren zeigt Papaioannou bearbeitetes You Tube-Videomaterial, Bodenturnerinnen, konzentrierte Blicke, Perfektion der Bewegungen, bandagierte Füße auf dem Schwebebalken und einen Disput zwischen Trainer und junger Athletin. Es fällt auf, dass alle Sportlerinnen in sehr jugendlichem Alter sind.
Biegbar, formbar, beugbar, aber fragil und verletzlich. Jene Vulnerabilität nimmt die Künstlerin formal auf, in dem sie die gelenkartigen Verbindungen der Architektur des Stufenbarrens mit Mullbinden umwickelt und ihnen eine
antropomorphe Bedeutungsebene verleiht. Die Selbstverständlichkeit des Sportgeräts wird angezweifelt, der Betrachter zum Hinsehen und zum Hinterfragen aufgefordert. Eine intellektuelle Kommunikation zwischen Werk und Rezipienten beginnt.

Welcher Preis muss für den Erfolg gezahlt werden?

Sport funktioniert als globales Kommunikationsmittel und füllt alle Stadien in allen Ländern und wird von allen verstanden, denn die Reglements sind international geeint. Auf den Genius Loci geht Papaioannou neben den Aufbauten intensiv ein, in dem sie die vorgegebenen Bodenmarkierungen der Turnhalle durch eine Zeichnung mit Klebstreifen erweitert. Die Zeichnung weist auf eine Choreografie von Bewegung im Raum hin, wie
Formeln, wie Regeln, welche die Künstlerin unabhängig vom Dickicht der Prüfungsordnungen der vielen, vielen Sportarten frei generiert. Sie erreicht die Zugänglichkeit zum Kunstwerk unter anderem, in dem sie in situ mit
bestehendem Material in bestehenden Proportionen und Formen arbeitet – wie erkennen und versuchen einzuordnen.
Eleni Papaioannou ist die formale Erscheinung ihrer Arbeit besonders wichtig. Auch der pinkfarbene, durchaus irritierende Zweig am Stufenbarren trägt zur Erweiterung der inhaltlichen Ebene bei. Die Strenge des industriell hergestellten Geräts steht im Kontrast zu Mullbinden und Zweig. Unnatürlichkeit steht gegen Natürlichkeit, Unmenschlichkeit wird der Menschlichkeit entgegengestellt, die Fragilität des Gleichgewichts der Natur wird hinterfragt. Eine Austauschbarkeit von Raum und Mensch signalisiert auch der Nachsatz des Titels:
‚Masse ist variabel’, was ebenso weit gedacht werden kann, denn nicht nur die Installation ist variabel.


Was ist nun der Lohn des Hochleistungssports? Pein oder Gold? Wie belastbar sind Psyche und Physis eines Athleten? Kann er dem Leistungsdruck standhalten? Ist er reif für den Erfolg oder lässt ihn die Angst vor dem Misserfolg scheitern? Inwieweit ist der Athlet noch selbstbestimmt und wird nicht durch die Macht der Trainer und Funktionäre manipuliert?
Der Betrachter wird in diesen Kontext zwischen Leistung und Qual miteinbezogen. Er ist Claqueur und Voyeur zugleich. Ohne ihn wäre der Sport wertlos, denn Sport braucht Öffentlichkeit und Jubel, braucht Fans und Mitfühlende, braucht Menschen, die sich mit der Nation des Sportlers identifizieren. Impulsgeber für Papaioannous Arbeit ist neben dem Ort Franz Kafkas Parabel „Auf der Galerie“ aus dem Jahr 1919, die in zwei Abschnitten auf die Problematik eines Artistendaseins und dem unmittelbar daran beteiligten Betrachter eingeht.
Ohne dessen Wahrnehmung gäbe es keine Aufführungen, Ausstellungen, Wettbewerbe oder Sportfeste. Ohne Wahrnehmung also funktioniert nichts, ohne Wahrnehmung funktioniert auch die Installation nicht.
Das Werk der Künstlerin zeigt sich offen für verschiedenste Ansätze und Fragestellungen.
„Athletics“ fordert unsere Kommunikation und will breit interpretiert werden. Sport und Kunst als internationale Kommunikationsmittel, so wie wir es bei allen Wettkämpfen und Ausstellungen weltweit sehen können.


Papaioannou arbeitet ortsbezogen. Sie entwickelt in ihrer Installation „athletics“ in der Turnhalle einer kleinen Stadt einen kritischen globalen Kontext mit gesellschaftspolitischem Hintergrund, mutig, zeitgenössisch, außergewöhnlich, inhaltlich wie ästhetisch auf hohem Niveau, was die Jury letztendlich überzeugt und zu ihrer Entscheidung bewogen hat.
Durchgehend alle für diese Ortung entwickelten Arbeiten zeigen sehr gute künstlerische Positionen, was diese Entscheidung eher schwerer denn leichter gemacht hat, wie schon eingangs erwähnt. Insofern ist Ihre Teilnahme an der Ortung VIII eine Auszeichnung per se, verehrte Künstlerinnen und Künstler. Vielen Dank für all Ihre hervorragenden Beiträge!
Ganz besonders beglückwünsche ich nun nochmals die Preisträgerin Eleni Papaioannou. Möge der Preis den Weg Ihres Werkes weiter ebnen. Viel Erfolg für Ihre künstlerische Zukunft.

Meine Damen und Herren, die Jury empfiehlt zudem den Ankauf eines Gemäldes des ebenfalls in Berlin lebenden Malers Jürgen Durner, der in seinem Konzept „Der goldene Spiegel – malerische Facetten über ein exemplarisches Fenster in Schwabach“ in meisterlichem Kolorismus auf eine Mikroatmosphäre inmitten der Stadt malerisch reagiert hat und neun Gemälde aus einem einzigen Ort entwickelt hat. Sie können diese in der Galerie Gaswerk sehen. Wir sind uns sicher, dass sich unter diesen Bildern eines befindet, das der kleinen, feinen städtischen Sammlung weiteren Glanz verleiht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen herzlich für Ihre geschätzte
Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen interessanten Rundgang durch die 33 Stationen
der Ortung VIII.


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© Eleni Papaioannou, 2013 Fotos: Luca Abbiento