TAMATA-NAMAMA
Text aus dem Ausstellungskatalog,
Juliane Kathrin Wagner, Kulturlotsin Humbolt Universität, Berlin

Die aus Griechenland stammende Künstlerin Eleni Papaioannou hat für das Kunstfestival 48h Neukölln 2013 in der Auseinandersetzung mit der hinduistischen Religion das temporäre Kunstwerk Tamata-Namama in der Baustelle des Sri Ganesha Hindu Tempel Vereins Berlin entwickelt. Dem Schaffungsprozess ging eine Phase der Annäherung an die der Künstlerin bis dahin recht fremde Religion und ihrer Rituale voraus, in der sie, unterstützt durch die dem Projekt zugeteilte Kulturlotsin, an Puja-Zeremonien und dem hinduistischen Neujahrsfest teilnahm
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Schnell zeigte sich, dass vor allem das Thema der Opfergabe Eleni Papaioannou faszinierte. In der Puja wird der um Anwesenheit gebetene Gott Ganesha nicht nur gewaschen und bekleidet, es werden ihm verschiedene Gaben zur Bewirtung dargebracht, neben Räucherstäbchen, Blüten und brennendem Licht mit Butterschmalz vor allem Opferspeisen wie Kokosnüsse, Trauben oder Bananen aber auch Süßspeisen und Gekochtes.
Die Speisereste der Opfergaben des Gottes werden am Ende einer Puja als gnadenhaftes Geschenk Ganeshas von der Gemeinde zurückempfangen. Mit der Formel „na mama“ – nicht für mich – verzichtet der Darbringende auf die Speisen und überreicht sie Ganesha. Auch in der Zeremonie des Neujahrsfestes, in der der Gott Ganesha gewaschen, gesalbt und geschmückt aus dem Tempel getragen wird, werden immer wieder Kokosnüsse unter lauten Rufen der Gemeinde geopfert, indem sie vor der Statue des Gottes auf dem Boden zerschlagen werden um dann von den Gläubigen gegessen zu werden. Dieses Ritual hat die Künstlerin stark beeindruckt und sie die Verbindung zu ihrem eigenen religiösen Hintergrund, dem griechisch orthodoxen Christentum, ziehen lassen. So zum Beispiel zur Opferung des Sohn Gottes und dem damit in Zusammenhang stehenden zelebrierten Abendmahl oder die auch im Katholizismus verbreitete Verehrung der Marienstatuen, denen für ein gutes Gelingen oder als Dank Gaben überreicht werden. „Tamata“, der Plural von „Tama“, bezeichnet in der griechisch orthodoxen Kirche ursprünglich Goldstücke die mit einem Wunsch als Opfergabe auf Ikonen gehangen werden.

Eine Opfergabe „Tama“ muss aber nicht unbedingt materiell sein und wird gegeben wenn ein Wunsch in Erfüllung gehen soll.  Das Thema des Opferns schien der Künstlerin nicht nur in den verschiedenen Religionen zentral, sondern auch im alltäglichen Leben der Menschen. So setzte sie sich mit Unterstützung der Kulturlotsin mit dem Thema des Opferns, der religionstypischen Symbolik des Hinduismus und dem Aspekt der sakralen Architektur intensiv auseinander. In ihrer Konzeptidee verbindet sie den Akt des Opferns mit der Bedeutung von sakraler Architektur, die das Intime vom Öffentlichen abgrenzt und damit einen Schutzraum für persönliche Geschichten schafft. Der Akt des Opferns oder die Weihgabe ist in ihrer Arbeit Schnittpunkt und Verbindungselement unterschiedlicher Konfessionen.

Die Installation Tamata-Namama besteht aus einem (Kunst-)Tempel, der in der Baustelle des Sri Ganesha Tempels platziert wurde. Hergestellte wurde er aus dem hellblauen Baustoff Styrodur, der einerseits in seiner Farbe einen Kontrast zum Beton der Baustelle bildete und in seinem Material wiederum eine Kontrast zur Ästhetik der hinduistischen Darstellungen und Gottheiten im provisorischen Tempel in der Turnvater-Jahn-Gerätehalle, die etwas oberhalb der Baustelle gelegen ist. Seine quadratische Form ist aus der allgemeinen Struktur sakraler Architektur entwickelt. Die Größe des Tempels, 2 mal  2 mal 2 Meter, wurde durch die Größe des 6 Meter hohen Betonbaus bestimmt. Sowohl die Form als auch das ca. 80 cm hohe Dach der Installation wurden inspiriert durch den Schrein Ganeshas, der das Zentrum des provisorischen Tempel bildet.
Die Form des Betonbaus der durch eine Bodenplatte, ein Dach und acht Pfeiler gebildet wird, findet sich ebenfalls in der Gestaltung des Kunst-Tempels wieder, der ebenso aus einer Bodenplatte, einem Dach und vier Säulen bestand.  Fuchsiafarbene Stoffbahnen, die an den Seiten der Baustelle hinabhingen, nahmen die Farbästhetik des provisorischen Tempels wieder auf und verstärkten den Kontrast zum betongrau der Baustelle. Innerhalb des aus Styrodur gefertigten Tempels befand sich ein Altar in dem auf einem Bildschirm Interviews mit Menschen unterschiedlicher Konfession, Nationalität, und verschiedenen Alters sowie Berufs zu sehen waren, die über den Akt des Opferns in ihrem alltäglichen Leben erzählen. Entstanden ist so ein außergewöhnlicher Tempel unbekannter Religion, auf dessen „Altar“ persönliche Geschichten des Opferns „geopfert“ werden.

Die Interviews wurden jeweils in einer einzigen Einstellung gedreht, sodass das intuitive Erzählen der einzelnen Personen eingefangen werden konnte und nicht eine ästhetische Aufnahme in den Mittelpunkt der Arbeit rückte. In den Interviews wurde von Eleni Papaioannou nicht die Frage nach religiös motiviertem Opfer gestellt, sondern nach der Rolle des Opferns an sich im alltäglichen Leben der Menschen. Werden Opfer gebracht? Was wird als solches wahrgenommen? Wird es bewusst oder unbewusst dargebracht? Und warum opfere ich? Erwarte oder erhoffe ich mir etwas als Gegenleistung? Die Antworten sind sehr divers ausgefallen. So wurde das Opfern mit religiösen Festen in Verbindung gebracht, mit einem Soldaten, der sich für das Vaterland opfert, mit Opfern die man für Freunde oder die Kinder bringt oder mit dem Opfern von Zeit. Die in den Interviews gestellten Fragen und Gedanken wurden durch das Erfahren der Installation weitergegeben und im Betrachter die Frage angeregt, ob der Verzicht und das Opfern etwas ist, was auch im eigenen Leben eine Rolle spielt oder in den Religionen und dem Leben aller Menschen.

Durch die Installation wurden diese Fragen aber nicht nur den Interviewten und Besuchern des Festivals gestellt, sondern auch den Gemeindemitglieder des Sri Ganesha Tempels. Die im Vorfeld durch die Künstlerin vorgestellten Entwürfe des Kunstwerkes sind sofort ohne größere Diskussion durch die Gemeinde angenommen worden und auch während des Festival sowie in einer Gesprächsrunde zwischen Künstlerin, Kurator, Kulturlotsin und männlichen Gemeindemitgliedern war die Kommunikation sehr harmonisch. Es wurden die Inhalte der Interviews diskutiert und auch das Thema des Opferns und die hinduistischen Rituale besprochen. Der Zusammenhang zwischen religiösem und persönlichem Opfer wurde hier mehr betont als in der Auseinandersetzung der Interviewten oder, wie in vielen Gesprächen deutlich wurde, der Besucher mit dem Thema. Das Opfern im religiösen Sinne scheint im Hinduismus stärker in das alltägliche Leben mit einbezogen zu werden.
Aber auch hier sind die Gedanken wieder divers. Einerseits wird ein Opfer gegeben ohne etwas für sich selbst zu erwarten, die Freude am Geben wird betont und die Freude darüber, dass andere etwas bekommen wenn man beispielsweise Essen opfert, das dann wieder an die Gemeinde zurückgegeben wird. Andererseits wird aber der Segen in der Puja erwartet und durch das Opfern soll auch das Karma verbessert werden oder es wird in der Hoffnung auf die Erfüllung eines Wunsches geopfert. Jeder Hindu soll die ihm zugewiesen Aufgabe in seinem Leben erfüllen  und dafür  nichts erwarten, aber man darf sich erhoffen, dass man irgendwann etwas zurückbekommt.

So spannend und bereichernd die gemeinsame Beschäftigung mit dem Thema des Opferns auch war, eine wirklich Auseinandersetzung oder gar Kontroverse zwischen der Künstlerin und den Gemeindemitgliedern über das Kunstwerk an sich hat nicht stattgefunden. Woran mag das gelegen haben? Vielleicht sollte zuerst gefragt werden, warum das überhaupt bemerkt oder gar bemängelt wird. In den Gesprächen mit den Mitgliedern der Gemeinde fiel immer wieder die Betonung der Toleranz gegenüber anderen Religionsgemeinschaften auf und auch die Toleranz in der Ausübung der eigenen Religion. Die Vielfalt des Hinduismus bietet scheinbar einen Raum für viele Auslegungsmöglichkeiten der religiösen Praxis und Inhalte. Und so vielleicht auch für die Kunst. Das Kunstwerk und auch die Künstlerin und Kulturlotsin wurden angenommen in und mit dem was sie tun. Für den Zeitraum des Festivals gehörte der Tempel im Tempel mit zum Tempel. Die Installation zeigte die Reflexion der Künstlerin dessen was sie in der Auseinandersetzung mit den hinduistischen Ritualen erlebte. Es ist eine weitere Perspektive unter den vielen Perspektiven die Teil der Deutungen, Betrachtungen, Ideen und Interpretationen im Hinduismus sind und gehört ebenso dazu. In der Gesprächen mit den Gemeindemitgliedern wurde immer wieder betont, dass es im Hinduismus keine Vorschriften gibt (außerhalb der festgelegten Puja-Zeremonie, die nur der Priester durchführt) wie geopfert wird, wie die Schriften interpretiert werden oder wie  man seinem Gott huldigt. Wer nicht zum Gottesdienst kommen möchte, kommt nicht, wer barfuß kommen möchte, kommt barfuß und wer statt zu laufen lieber rollen möchte, der rollt sich. Und das wird nicht hinterfragt oder belächelt, es wird einfach akzeptiert als die dem Gläubigen eigene Weise seinem Gott zu huldigen.

Diese Annahme fand auch Ausdruck in einer speziellen Puja-Zeremonie, die der Priester Shimoga Sreenivas in Anwesenheit der Künstlerin, Besuchern des Festivals, der Kulturlotsin und einigen Gemeindemitgliedern durchführte. Das Kunstwerk wurde zu Beginn und auch noch einmal am letzten Tag des Festivals gesegnet damit das Vorhaben der Künstlerin gut und störungsfrei verlaufen möge. Es wurden Blüten, und ein brennendes Licht dargebracht und die Künstlerin und Kulturlotsin wurden mit in diese Zeremonie einbezogen, indem sie Reis auf die Installation warfen und auch einen Segen empfingen. In diesem besonderen Moment zeigte sich nicht nur die  Annahme der Installation als Teil des Tempels sondern es verwoben sich auch das religiöse Ritual und die künstlerische Reflexion darüber, eine Verbindung von der äußeren und inneren Betrachtungsweise der Religion konnte entstehen. Sowohl der Gegenstand der Reflexion, als auch die Künstlerin wurden teil des religiösen Rituals und darüberhinaus wurde auch der außenstehenden Betrachter mit in diese Zeremonie einbezogen und konnte den Segen durch den Priester empfangen. Auch wenn vielleicht keine inhaltliche Auseinandersetzung über das Kunstwerk an sich stattgefunden hat, so hat das Kunstwerk doch eine Verbindung zwischen ihm selbst und dem religiösen Erfahren sowie eine Verbindung zwischen der Künstlerin, der Gemeinde und den Besuchern geschaffen. Über die Installation hat eine Öffnung des Ortes stattfinden können.

Die Besucher des Festivals wurden eingeladen neben der Installation auch den provisorischen Tempel zu besuchen und im Anschluss an eine Führung durch die Kulturlotsin am Kunstwerk an einer weiteren Führung sowie Puja durch den Priester Shimoga Sreenivas teilzunehmen. So bot sich der Hindu-Gemeinde die Möglichkeit die eigene Kultur und Religion den Besuchern näherzubringen und den Besuchern bot sich wiederum die Möglichkeit diesen für viele neuen Ort zu erkunden, die von einer sehr großen Zahl der Besucher wahr genommen wurde. Über das Kunstwerk traute sich das Publikum eine Annäherung an eine fremde Religion und einen fremden religiösen Ort. Es fand ein reger Austausch in Gesprächen zwischen Künstlerin, Gemeindemitgliedern, Kulturlotsin und Besuchern statt und in der Puja konnte der Besucher nicht nur einen Einblick in das hinduistische religiöse Ritual gewinnen sondern auch den Gegenstand der Reflexion der Installation erleben und so das Kunstwerk noch einmal neu wahrnehmen. Es wurde ihm die Möglichkeit zu Teil sowohl den Ausgangspunkt und Inspirationsquelle als auch die fertige Installation der Künstlerin zu erfahren.

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© Eleni Papaioannou, 2013